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Leisnig, Völkische Siedler

Naunhof 18, Leisnig

Adressen: Naunhof 6, Leisnig | Naunhof 18, Leisnig | Zschockau 2, Leisnig | Nicollschwitz 1, Leisnig
Strukturen: Völkische Siedler:innen, NPD, Dritter Weg
Nutzung: Wohnraum, Geschäftsräume, Strukturaufbau

Rund um die Kleinstadt Leisnig im Landkreis Mittelsachsen ist seit spätestens 2019 ein vermehrter, gezielter Zuzug von völkischen Neonazis festzustellen. Anfänge der Siedlungsbestrebungen in der Region gehen allerdings bis mindestens 2013 zurück. Wie in anderen Regionen Deutschlands zogen Neonazis hier gezielt in eine ländliche Gegend und erwarben in räumlicher Nähe zueinander Immobilien, in der Regel Bauernhöfe. Der gezielte Zuzug von langjährig aktiven Neonazis kann als Fortführung der Strategie der Landnahme verstanden werden, die in Leisnig mutmaßlich noch nicht zu Ende ist. Ziel ist es ländliche Regionen zu besetzen, um völkische Traditionen auszuleben, ohne dabei auf Widerstand zu stoßen. Dahinter steckt die Idee, dass es „im Westen“ bereits zu viele Ausländer gäbe, weswegen man gezielt in den Osten zieht. Dafür wird unter der Initiative „Zusammenrücken“ der Zuzug weiterer Neonazis beworben.

Im Leisniger Ortsteil Naunhof sind gleich zwei solcher Immobilien zu finden. Am östlichen Ortsrand (Naunhof 6) liegt nach außen hin strikt abgeriegelt der Vierseitenhof von Dankwart und Bente Strauch. Dankwart Strauch, führt von hier aus den „Adoria Verlag“ und vertreibt diverse neonazistische und geschichtsrevisionistische Bücher und Tonträger. Unter der gleichen Adresse führt er den „Deutschen Buchdienst“ und den „Winkelried Verlag“ von Eric Kaden aus Dresden weiter. Der „Deutsche Buchdienst“, auch „Buchdienst Kaden“ war einer der frühen Online-Versände für völkische Literatur. Dankwart Strauch stammt aus Oberhausen und führte zuletzt von Martensrade bei Kiel sein Versandgeschäft. Strauch, der seinen Sohn mit drittem Vornamen Adolf nannte, ist selbst seit über 15 Jahren fest in der neonazistisch-völkischen Szene aktiv und wurde 2005 in den Bundesvorstand der heute verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) gewählt. Am 16.01.2019 durchsuchte die Polizei den Hof der Strauchs. Der Verdacht: Über seinen Verlag soll Dankwart Strauch NS-Literatur unkommentiert nachgedruckt haben. Der sächsische Verfassungsschutz führt den Adoria-Verlag nach eigenen Angaben nicht als Beobachtungsobjekt. Auch in einer Auflistung neonazistischer Versände im Freistaat im Verfassungsschutzbericht 2020 werden Strauchs Versände nicht gezählt.

Am anderen Ende des kleinen Ortes Naunhof befindet sich der Hof von Lutz und Stefanie Giesen (Naunhof 18). Auch der 1974 geborene Lutz Giesen kann auf eine lange Karriere in der neonazistischen Szene zurückblicken. Von 2006 bis 2011 war er Mitarbeiter der NPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern. 2009 trat er bei einer Demonstration in Berlin auf und verlas Namen und Adressen von Personen, die von den Neonazis als politische Gegner*innen markiert werden sollten. 2019 trat er sowohl beim „Dritten Weg“ in Bayern als auch bei einer Tagung in der „Gedächtnisstätte“ in Guthmannshausen auf. Zudem sprach Giesen in den letzten Jahren mehrfach auf den Demonstrationen zum Jahrestag der Bombardierung von Dresden.

Lutz Giesen am 15. Februar 2020 in Dresden. Quelle: Recherche Nord

Unter der Adresse der Giesens ist auch ihre 2018 gegründete Unternehmensgesellschaft „Naunhof18 UG“ angesiedelt, über die offenbar Lutz Giesens Firma „Schrankenwart.de“ läuft, eine Firma zum Bau von Schrankenanlagen.

Mit Christian Fischer (Zschockau 2, 04703 Leisnig) hat ein weiterer Neonazi mit HDJ-Vergangenheit einen Hof in der Region Leisnig erworben. Fischer, der zusammen mit seiner Frau Jennifer und Kindern in Zschockau lebt, stammt ursprünglich aus Vechta und war zuerst Stützpunktleiter und später Landesvorsitzender der JN Niedersachsen. Im Mai 2018 war Fischer Teilnehmer einer Demonstration des „Dritten Wegs“ in Chemnitz und im gleichen Jahr bei den neonazistischen Ausschreitungen in der Stadt dabei, wobei er mit einem sogenannten Selbstverteidigungsschirm bewaffnet war.

Christian Fischer (Bildmitte, grüne Jacke mit Rucksack) am 1. Mai 2018 in Chemnitz. Quelle: RechercheNetzwerk Berlin

Christian Fischer ist Sprecher der Initiative Zusammenrücken. Gemeinsam mit dem ebenfalls nach Mittelsachsen gezogenen, ehemals aus Hessen stammenden Neonazi Christian Müller treten die beiden als „der rote Chris“ (gemeint ist der rothaarige Fischer) und „der braune Chris“ (gemeint ist der braunhaarige Müller) regelmäßig in einem Podcast-ähnlichen Format auf dem Telegram-Kanal der Initiative Zusammenrücken auf, oftmals im Interview mit anderen namhaften Neonazi-Kadern.

Christian Müller ist ehemaliges Mitglied der „Freien Nationalisten Rhein-Main“ bzw. „Nationale Sozialisten Rhein-Main“, wohnte später im sogenannten „Braunen Haus“ des NSU-Unterstützers Ralf Wohlleben in Jena und zog vermutlich ca. 2018 nach Naundorf, einem Ortsteil der Gemeinde Bobritzsch-Hilbersdorf bei Freiberg. Zuvor hatte er bereits im sächsischen Bad Lausick gewohnt. Damit wohnt er zwar nicht wie die anderen Siedler:innen in der direkten Umgebung der Stadt Leisnig, kann aber durch seine Aktivität für die Initiative Zusammenrücken zum gleichen Netzwerk gezählt werden. Müller wurde bekannt mit seinem Projekt „Volksfront Medien“. Dass er als Medienaktivist sein Kameraequipment nicht nur für Propagandazwecke einsetzt, zeigte er am 1. Mai 2016, als er in Saalfeld (Thüringen) eine Gegendemonstrantin mit seinem Kamerastativ bewusstlos schlug. Christian Müller lebt zusammen mit der ehemaligen Einheitsführerin der HDJ Franken, Frauke Müller geb. Nahrath in der Grillenburger Straße 12 in Bobritzsch-Hilbersdorf OT Naundorf.

Auch Mario Matthes hat eine Vergangenheit in der neonazistischen Jugendorganisation HDJ, an deren Lager er 2008 in Bayern teilnahm. Nach einer Zeit in der hessischen NPD wurde er Stützpunktleiter beim „Dritten Weg“ in Rheinland-Pfalz. Er nahm 2018 als Trommler ebenfalls an der Mai-Demonstration des „Dritten Wegs“ in Chemnitz teil. Matthes war bekannt geworden, als er von der Universität Mainz exmatrikuliert worden war, weil er eine linke Studentin krankenhausreif getreten hatte.

Mario Matthes (Trommler in der dritte Reihe, Mitte) am 1. Mai 2018 in Chemnitz. Quelle: RechercheNetzwerk Berlin

Zwei weitere Mitglieder des Leisniger Siedler:innennetzwerks sind Jens Schober und Rene Böhm. Beiden wohnen zusammen auf einem Hof in dem ebenfalls nach Leisnig eingemeindeten Dorf Nicollschwitz (Nicollschwitz 1, 04703 Leisnig), der seit spätestens 2013 in Böhms Besitz ist. René Böhm betreibt von Nicollschwitz aus seine Firma „Werbedruck Böhm“ und stammt aus Leipziger Kameradschaftsstrukturen. Zwischen 2008 und 2010 hatte sich Böhm an dem Projekt „Freies Leipzig“ beteiligt, welches in der Kameradschaftsszene ein Gegengewicht gegen das NPD-nahe Netzwerk „Freies Netz“ darstellen sollte.

Jens Schobers aktive Zeit beschränkt sich vor allem auf die 90er bis Mitte der 2000er-Jahre, als er in Leisnig als Kameradschaftsführer galt und mehrere Demonstrationen in ganz Sachsen anmeldete. Schon damals verfügte Schober über gute Kontakte in die bundesweite Szene. So war er Inhaber eines Leipziger Postfachs, das als Adresse der „Bewegung Neues Deutschland“ fungierte. Als Verantwortlicher trat dabei der NSU-Unterstützer und HDJ-Mitglied Maik Eminger auf. Dass die Verbindung zu Eminger Bestand hatte, zeigt eine Teilnahme Schobers an einer von Eminger organisieren Sonnenwendfeier 2013 auf dessen Hof im Brandenburgischen Grabow. Auch René Böhm nahm an diesem Treffen teil. Als Christian Worch Mitte der 2000er-Jahre eine Reihe von Kleinstaufmärschen in Leipzig anmeldete, soll Schober der Verantwortliche vor Ort gewesen sein. Schober ist in der Vergangenheit durch zahlreiche Gewalttaten aufgefallen, 2009 überfiel er das Regionalbüro der Leipziger Volkszeitung in Leisnig mit einer Axt, danach wurde es still um ihn.

Ein weiterer Teil des Netzwerks um die Initiative Zusammenrücken ist der ehemalige JN-Kader Mathias König. König, der aus Wurzen stammt, war um das Jahr 2010 Leiter des JN-Stützpunktes Muldental und stellvertretender JN-Landesvorsitzender. Er war Teilnehmer zahlreicher neonazistischer Aufmärsche und ist seit mindestens Mitte der 2000er Jahre Teil der sächsischen Szene. Heute wohnt auch er in Mittelsachsen.

Mit Michael Haack (Döbelner Str 5, 04703 Leisnig OT Fischendorf) ist ein weiterer umtriebiger Aktivist der Partei „Der Dritte Weg“ Teil des Siedler:innen-Netzwerks geworden. Haack nahm mehrmals an Aufmärschen seiner Partei teil, u.a. am 1. Mai 2019 in Plauen, am 17.02.2019 in Fulda gemeinsam mit Christian Fischer und Mario Matthes und auch am 03.10.2020 in Berlin. Auffällig ist auch sein Interesse an Rechtsterrorismus-Prozessen: Haack nahm sowohl an der Urteilsverkündung gegen NSU-Terroristin Beate Zschäpe am 11.07.2018 in München teil als auch am Prozess gegen Susanne Gemeinhardt-Seitz, den er gemeinsam mit Lutz Giesen und Christian Fischer besucht haben soll. 2018 nahm er ebenfalls in Gesellschaft von Christian Fischer am Trauermarsch für einen getöteten 22-Jährigen in Köthen/Anhalt teil. Zusammen mit Fischer reiste Haack auch nach Aue zu einer Kundgebung des NPD-Kreisrats Stefan Hartung am 28.12.2019. Fischer und Haack fielen hier besonders auf, da sie in Jacken des „Dritten Wegs“ erschienen waren. Am 15.02.2020 nahm Haack darüber hinaus am jährlichen Neonazi-Trauermarsch in Dresden teil. In Leisnig zeichnet Haack als Anmelder der Corona-Kundgebungen und ViSdP der Website Leisnig.info verantwortlich, die als Portal der Kundgebungsteilnehmenden dient.

Bei den Corona-Kundgebungen in Leisnig tritt Michael Haack zusammen mit Christian Fischer, Lutz Giesen und Mario Matthes als Redner auf. Auch Mathias König spielt hier eine zentrale Rolle, ist oft vor Ort und begleitet die Versammlungen mit seiner Kamera. Auch der Döbelner NPD-Kader Stefan Trautmann, der eine tragende Rolle bei den „Freien Sachsen Mittelsachsen“ spielt, nahm an den Kundgebungen in Leisnig teil.

Die Kundgebungen auf dem Leisniger Marktplatz sind ein wichtiges Instrument für die Initiative Zusammenrücken, um vor Ort Fuß zu fassen. In ihren Reden vermischen die Neonazis Ablehnung der Corona-Maßnahmen mit der Ablehnung des demokratischen Rechtsstaates und können so ihren Einfluss auch auf das Corona-Leugnenden-Milieu in der Region ausweiten.

Die Neonazis kommen allerdings nicht nur bei Versammlungen zusammen: Die Initiative Zusammenrücken veröffentlicht in der letzten Zeit vermehrt Videos von völkischen Brauchtumsfeiern. Videos zeigen Zusammenkünfte auf einem Feld, wo Erntedankfeiern, Tauziehen und der Sprung über das Feuer zur Sommersonnenwende gezeigt werden. Auf den Videos sind Mathias König, Mario Matthes, Stefan Trautmann, Lutz Giesen, Christian Müller, Michael Haack und Christian Fischer zu erkennen. Die Neonazis zeigen mit ihren Feiern, dass „Zusammenrücken“ nicht nur eine Initiative zur Ansiedlung von Kameraden in Ostdeutschland ist, sondern als feste Gruppe völkischer Siedler:innen im Raum Leisnig begriffen werden kann, für die Brauchtumsfeiern ein zentraler Bestandteil der Selbstbestätigung ihrer Ideologie sowie der Ideologiebildung ihrer zahlreichen Kinder ist.